Frankfurter Algemain Selim Çürükkaya sorununu yazdı
Cürükkayas Buch ist eine Abrechnung mit dem "erhabenen Führer", aus der Enttäuschung spricht.
Biographie mit orwellschen Zügen
Selim Çürükkaya: PKK. Die Diktatur des Abdullah Öcalan.Aus dem Türkischen von Gerd Landau. Mit einem Vorwort von Günter Wallraff. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1997. 256 Seiten, 19,90 Mark
Nett und harmlos klingt der kurdische Spitzname von Abdullah Öcalan, dem Vorsitzenden der PKK. Für viele ist er einfach nur “Apo”, der kurdische Name für Onkel.
Doch Öcalan ist alles andere als ein gutmütiger Onkel: Unnachgiebige Härte kennzeichnet den Kampf seiner Partei gegen die Türkei genauso wie seinen Führungsstil. “Er ist ein Typ, der in sich den Staatsgedanken von Ankara, den Kult von Damaskus, den Sozialismus von Stalin . . . vereint. Das Intrigantentum hat er von Mustafa Kemal, die Säuberungsmentalität von Hafiz al-Assad und das Diktatorenwesen von Stalin”, mit diesen drastischen Worten charakterisiert Selim Cürükkaya den Führer der kurdischen Arbeiterpartei. Das tat er jedoch nicht ungestraft.
Um sich dem Zugriff des “großen Führers” zu entziehen, versteckt sich der Autor, der selbst zu den Gründungsmitgliedern der Partei zählt, zur Zeit in Europa. Denn mit seinem Buch und früheren kritischen Äußerungen hat er nach Ansicht Apos sein Leben verwirkt – wie viele, die sich ebenfalls für einen Kurdenstaat einsetzten.
Von der ersten Generation der PKK- Führung sei nur noch “eine Handvoll” am Leben. Mehrere Seiten umfaßt die Liste im Anhang des Buches mit den Namen derer, die Öcalan zu gefährlich geworden waren und auf dessen Geheiß “aus dem Weg geräumt wurden”. Es waren PKK-Kämpfer, die sich nicht bedingungslos an die “Suren” Apos halten wollten. Eine Sure ist eigentlich ein Vers im Koran. Cürükkaya verwendet dieses Wort absichtlich für die Äußerungen des PKK-Chefs, da sie von allen Mitgliedern kritiklos befolgt werden müssen. Deshalb werden alle seine Äußerungen mitgeschnitten. Die gedruckte Version ist Pflichtlektüre in der Partei. Wer den Suren keinen Glauben schenkt, muß als “Ungläubiger” sterben.
Cürükkayas Buch ist eine Abrechnung mit dem “erhabenen Führer”, aus der Enttäuschung spricht. Denn beide verfolgen eigentlich dasselbe Ziel: Sie wollen einen unabhängigen Staat für die Kurden schaffen. Der Autor möchte das jedoch mit Hilfe einer demokratisch verfaßten PKK erreichen, die auch mit anderen kurdischen Parteien kooperiert. Seine Versuche, diese Vorstellungen zu verwirklichen, endeten jedoch fast alle mit Verfolgung und Gefängnis: Zunächst brachte er insgesamt elf Jahre in türkischer Haft zu; kaum entlassen, kam er in “Anwendung” in einem Lager der Arbeiterpartei. Aus dem PKK-Kerker gelang ihm die Flucht nach Beirut.
Dort entstanden große Teile des Buches. So bildet der Aufenthalt im Libanon den Rahmen für seine tagebuchartigen Rückblenden. Dieses Springen zwischen Gegenwart und Vergangenheit erschwert streckenweise die Lektüre dieser Autobiographie mit orwellschen Zügen. Vieles in dem Buch schildert der Autor aus eigenem Erleben. Es ist eine seltene Innenansicht der Partei, deren Fakten und Behauptungen sich nur schwer überprüfen lassen dürften. Doch die Tatsache, daß sich Cürükkaya bis heute vor Apo verstecken muß, spricht für sich. Auch wenn Öcalan in dem Gespräch mit Günter Wallraff, das am Ende des Buches im Wortlaut abgedruckt ist, viele Vorwürfe des Autors zurückweist, bestätigt er in seiner Wortwahl, wie treffend Cürükkaya ihn dargestellt hat. Der ist für Apo ein “inhaltsloses Subjekt”, das die PKK aber immer noch “entwickeln” wolle.
Cürükkaya hat miterlebt, was damit gemeint ist. Viele der ehemaligen Häftlinge in türkischen Gefängnissen hielt der PKK-Chef für gefährlich, da sie durch ihre Haft geistig zu unabhängig und unter den Kurden zu populär geworden sind. Im libanesischen Lager der Partei wurden er und andere Ex-Häftlinge “rehabilitiert”, ihnen sollte die “Knastpersönlichkeit” genommen werden. Was auf die Zerstörung der eigenen Persönlichkeit hinauslief, gipfelte im Verfassen einer später öffentlich verlesenen “Selbstkritik”. “Du wirst Selim Cürükkaya umbringen. Eine solche Person wird es nicht geben. Du mußt dich vollständig vergessen und an die Leerstellen die Führung setzen”, lautete eine Anweisung an den Autor. Wer wie er nicht kooperierte, wurde eingesperrt, einige wurden hingerichtet.
Doch die Autorität Apos ist nicht nur auf ideologische Linientreue beschränkt, sie gilt auch für die Liebe. Die Beziehung zwischen Mann und Frau ist nach Öcalans Ansicht mit Agententum gleichzusetzen, Heirat ist verboten. Denn das lenke vom Kampf ab. Während die, die gegen diese Sure verstoßen, gnadenlos verfolgt werden, hält sich der PKK-Führer nach Informationen des Autors einen Harem. Cürükkayas Ehe mit einer PKK-Aktivistin vermochte Apo dagegen nicht dauerhaft zu stören. Beide leben nach mehreren Jahren politisch bedingter Trennung wieder zusammen und suchen irgendwo in Europa gemeinsam Schutz vor Apos Leuten.
HANS-CHRISTIAN RÖSSLER