Kurden Hilflos vor dem Terror
Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verunsichert Politiker, Justiz und Polizei. Während Konservative die Abschiebung ohne Gerichtsurteil fordern, verzetteln sich die Gerichte in Prozessen um Bagatelldelikte von PKK-Aktivisten. Den Psychoterror der PKK gegen ihre Landsleute können Ermittler kaum stoppen.
Die Regierenden in Bonn hatten einen Einfall. Bundesinnenminister Manfred Kanther fand ihn “gut”, Staatsminister Bernd Schmidbauer war “elektrisiert” – das konnte nur schiefgehen.
Der Chef der stalinistischen “Arbeiterpartei Kurdistans” (PKK), Abdullah Öcalan, 46, so die Idee, könne zu einer historischen Figur wie PLO-Chef Jassir Arafat reifen, der einmal als Terrorist verteufelt war, inzwischen aber als Präsident hofiert wird. Mit Hilfe deutscher Diplomatie werde der alte Kämpfer für ein selbständiges Kurdistan möglicherweise künftig als Mittler zwischen den Fronten agieren.
Als Emissär wurde im August vorigen Jahres Klaus Grünewald, Abteilungsleiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), nach Nahost geschickt. Der Guerrillachef, den seine Gefolgsleute zärtlich Apo, den Onkel, nennen, empfing den Geheimdienstmann. Er versprach, seine PKK, die er per Satellitentelefon aus Syrien oder dem Libanon steuert, werde sich in Deutschland friedlich verhalten. Außerdem würden seine Leute die deutsche Polizei bei der Jagd nach türkischen Drogenhändlern unterstützen.
Verfassungsschutz-Präsident Hansjörg Geiger informierte eilends die Bonner: Eine Art Zusammenarbeit mit der PKK bahne sich an. Öcalan wolle deutschen Behörden sogar als “Hinweisgeber” zur Verfügung stehen. Die Illusion hielt nicht lange vor. Organisiert von terroristisch versierten Kadern der PKK, machten – wie in den vergangenen Jahren – Kurden rechtzeitig zu ihrem Neujahrsfest am 21. März (“Newroz”) Randale in der Republik. Am vorletzten Samstag blockierten sie mehrere Autobahnen in Deutschland. Sie drohten, eine Tankstelle in die Luft zu jagen, und legten Feuer in Geldinstituten und Geschäften.
Eingebrannt hat sich das Bild des Polizisten Rolf Feger, 46. Mit weit aufgerissenem Mund und blutüberströmt versuchte er, kurdischen Schlägern zu entkommen. Ein Trupp der PKK hatte den Polizeihauptmeister auf der Autobahn bei Elten aus dem Streifenwagen getrieben und auf ihn eingedroschen.
Aus seinem Hauptquartier tönte der PKK-Chef wie gewohnt: In Europa werde es “eine Massenerhebung” der unterdrückten Kurden geben, “in der ersten Linie in Deutschland. Es werden dabei Hunderte von Menschen sterben”. Auch deutsche Touristen im Ausland, drohte Öcalan, würden zuhauf massakriert. Der Parteiführer will offenbar Bonn die ungebremste Schlagkraft seiner Organisation beweisen – und ein Signal an die neue türkische Regierung in Ankara geben. “Müssen wir uns das Jahr für Jahr aufs neue bieten lassen?” kommentierte Die Zeit die Vorfälle.
Das Thema schwappte in die heiße Phase der Landtagswahlkämpfe. Die Sympathisanten der PKK im Lande versuchten, mit Hinweis auf die Greuel an der kurdischen Bevölkerung im Südosten der verbündeten Türkei, die Gewalttaten auf deutschen Straßen zu verniedlichen. Die Rechten überschlugen sich in Forderungen nach einer Verschärfung des Ausländerrechts.
Schuld an den Krawallen in Nordrhein-Westfalen, schimpfte Helmut Kohl, habe auch die rot-grüne Regierung in Düsseldorf mit ihrer angeblich laxen Abschiebungspraxis. Dabei hat NRW im Vorjahr mehr Kurden abgeschoben als die Bayern. Süffisant wies der Regierungschef im Bonner Kabinett darauf hin, daß in der NRW-Landesvertretung aus Anlaß des Neujahrsfestes ein Empfang für 300 kurdische Organisationen gegeben werden solle.
Der Chef des Bundeskanzleramtes, Friedrich Bohl, schrieb an Ministerpräsident Johannes Rau einen Brief für alle Fälle: “Nach meinem Verständnis von guter Nachbarschaft”, so Bohl, hätte es nahegelegen, das Kanzleramt rechtzeitig zu informieren.
Rau ließ die Veranstaltung absagen. Eine von Kurden eingekeilte Kanzler-Limousine wäre kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein Wahlkampfschlager für die Union geworden.
Die CSU verlangte, Teilnehmer an verbotenen Demonstrationen unverzüglich auszuweisen. Abschiebungen sollten, stimmte auch CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble zu, bei schwerem Landfriedensbruch sogar noch vor einem Gerichtsverfahren vollzogen werden; Zeugenaussagen oder Bilder reichten für den Rauswurf.
FDP-Chef Wolfgang Gerhardt widersprach, sein Parteifreund, Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig, sagte ein klares Jein. Der Professor schloß Gesetzesänderungen nicht aus, benötigt aber noch Bedenkzeit.
Doch nach Schäuble-Art läßt sich das Problem nicht lösen – solange sich die Bundesrepublik als Rechtsstaat versteht. Dessen Grundsätze gelten auch für Kurden. Kein Verbrecher darf in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm Folter oder Todesstrafe drohen. Das Grundgesetz wie die Europäische Menschenrechtskonvention sichern dieses Minimum an Humanität zu.
Auch den Aktivisten der PKK, so wenig rechtsstaatlich diese selbst agieren. Der Öcalan-Verein ist keine Partei, sondern arbeitet wie ein straff geführter Geheimbund mit vielen gegeneinander abgeschotteten Zellen. Die Bundesrepublik, die insgesamt etwa 500 000 Kurden aufgenommen hat, ist auf der PKK-Karte in fünf Regionen aufgeteilt. Öcalans Leute haben ihre Gebiete unter straffer Kontrolle. Sie spüren Gegner in konkurrierenden Organisationen und unzuverlässige Leute in den eigenen Reihen auf. Die werden mitleidlos umgebracht. Insider berichten von Szenen archaischer Brutalität.
Einem kurdischen Rauschgifthändler, der kein Schutzgeld zahlte, wurde in einem Waldstück bei Bremen der Arm mit einem Metzgermesser abgetrennt.
Berufener Zeuge für solche Maßnahmen ist Selim Cürükkaya, früher Öcalans Statthalter im Norden Deutschlands, heute dessen Todfeind Nummer eins. Der Schriftsteller lebt, seit er in seinem Werk “Beiruter Tagebuch und die Suren Apos” auch Mordkomplotte enthüllte, an geheimgehaltenem Ort.
Anders als deutsche Politiker und Verfassungsschützer vergleicht er den PKK-Chef mit einem “fanatischen Sektenführer”. Cürükkaya: “Öcalan ist ein Diktator.” In seiner Hybris wolle er nur, daß “über ihn geredet” werde. “Heute sagt er, ich bin dialogbereit, morgen sagt er, schlagt zu.” Seine Jünger hören auf ihn.
Deutschland ist nicht nur Ruhezone für die PKK-Terroristen aus der Türkei, sondern längst auch Nebenschauplatz des seit Jahren tobenden Bürgerkriegs zwischen Türken und Kurden. Überfälle auf türkische Reisebüros, Banken und sogar Generalkonsulate gehören inzwischen zu den ständig wiederkehrenden Schlagzeilen.
Die deutsche Politik laviert hilflos. Einerseits verlangt Bonn vom Nato-Partner Türkei immer mal wieder die Einhaltung der Menschenrechte. Andererseits muß sich die Bundesregierung von Kurden und Menschenrechtlern vorwerfen lassen, sie habe ebendiesen Staat mit Waffen vollgepumpt, die auch gegen Kurden eingesetzt würden: Panzer, Kampfflugzeuge, Maschinengewehre.
Wie sehr die Bonner in ihrer Kurdenpolitik seit langem eiern, wurde auf einer geheimen Sitzung zwischen Vertretern der Bundesanwaltschaft und Experten des Justizministeriums deutlich. Den Bundesanwälten lagen im November 1991 zwei Strafanzeigen wegen Völkermordes vor: eine gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein, die andere wegen Kurden-Verfolgungen in der Türkei. Die Ermittler bejahten in beiden Fällen einen Anfangsverdacht.
Staatssekretär Ingo Kober suchte laut Sitzungsprotokoll nach einer Marschroute, die auch außenpolitisch “die wenigsten Schwierigkeiten” bereitet. Im “Falle der Strafanzeige gegen Saddam Hussein”, heißt es in dem Papier, werde “weniger Porzellan zerschlagen als bei der Durchführung des Ermittlungsverfahrens gegen Beschuldigte aus der Türkei”. Denn diese sei immerhin “Nato-Partner der Bundesrepublik”.
Es wurden, so das Protokoll weiter, “verschiedene Ansätze diskutiert, die es ermöglichen könnten, letzteres Verfahren aus tatsächlichen Gründen einzustellen”. Ein Ministerialer trug vor, es handele sich bei den Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Staat und den Kurden ganz klar um Bürgerkrieg und nicht um Völkermord. Ein anderer schwadronierte vom Kampf gegen terroristische Einheiten in der Türkei. Die Akten kamen in die Ablage.
Innenpolitisch demonstriert die Bundesregierung, mit ihrem Innenminister Kanther vorneweg, seit Jahren Härte. 1993 wurde die PKK verboten, in immer rascherer Folge kommen seither Neugründungen auf den Index.
Der Erfolg ist zweifelhaft. Durch das Verbot ist es noch schwieriger geworden, die Kaderorganisation zu überwachen. Eingeschleuste V-Leute riskieren Leib und Leben. Sie berichten über ständige Rochaden in der Führung. Die Ausbildungslager sind bei Arnheim in Holland und bei Gent in Belgien. Es gebe auch Hinweise, so das BfV, “auf finanzielle oder zumindest logistische Unterstützung” aus Syrien, Iran, der GUS und Griechenland”.
Auf den Organigrammen der Ermittler tauchen immer neue Namen auf. Inzwischen bindet die Hydra PKK in Deutschland Hunderte von Fahndern.
Die Organisation hat weiterhin regen Zulauf. Seit dem Verbot erhöhte sich die Zahl der Aktivisten nach Verfassungsschutzberichten von rund 7500 auf 9000. Insgesamt 50 000 PKK-Sympathisanten, doppelt so viele wie vor dem Verbot, vermuten die Staatsschützer in der Bundesrepublik.
Sogar mit deutschen Terroristen soll die PKK zusammenarbeiten. Mitglieder aus dem Umfeld der Roten Armee Fraktion halten sich nach Informationen des Bonner Innenministeriums in PKK-Ausbildungslagern auf. Auch die wegen des Sprengstoffanschlags auf die Vollzugsanstalt Weiterstadt mit Haftbefehl gesuchte Andrea Wolf versteckt sich, so mutmaßt das Bundeskriminalamt, in einem Camp der Guerrilla. Und deutsche Autonome verbünden sich schon seit längerem mit der kurdischen Terrororganisation.
Der Kampf gegen die PKK legt inzwischen einen ganzen Justizzweig lahm. Vorigen Mittwoch begann vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg ein Prozeß gegen drei mutmaßliche Funktionäre der PKK, darunter zwei Frauen. 28 Verhandlungstage sind angesetzt. Schon seit Herbst vergangenen Jahres verhandelt die Staatsschutzkammer in Frankfurt gegen drei Angeklagte wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Die auch für die Bonner Kurden zuständige Kölner Staatsanwaltschaft erhob im vergangenen Jahr 105 Anklagen vor der Großen Strafkammer – meist ging es um Verstöße gegen das Vereinsgesetz.
“Mit der PKK”, sagt ein hoher rheinischer Richter, “hatten wir früher praktisch nie etwas zu tun.” Das Verbot aber und die rechtlichen Konsequenzen daraus hätten die nach dem Gerichtsverfassungsgesetz zuständigen Staatsschutzkammern “fast völlig außer Gefecht” gesetzt.
Die Justiz kümmert sich um Kinkerlitzchen. Die Gesetze zwingen die Ermittler, auch bei Petitessen – Plakate kleben, Schwenken von PKK-Fähnchen, Tragen von Armbanduhren mit PKK-Emblem – in großer Besetzung zu verhandeln.
Eine junge Kurdin, die während einer Demo in Köln im PKK-Block mitmarschiert war und dabei im Halsausschnitt der Bluse zwei PKK-Wimpel trug, wurde angeklagt; die Strafkammer lehnte die Eröffnung der Hauptverhandlung ab, das Oberlandesgericht widersprach und bestimmte eine neue Kammer. Die sprach eine kleine Geldstrafe aus.
Dem Psychoterror, den die PKK unter der großen friedlichen Mehrheit ihrer Landsleute in Deutschland verbreitet, kommen die Juristen nicht bei. Opfer sind oft die kleinen Leute. Sie lassen sich erpressen, werden bedroht, zusammengeschlagen und zahlen schließlich die von der PKK geforderten Spenden.
In Todesangst irrte vor zwei Jahren ein 20jähriger Kurde durch einen Wald nahe dem schwäbischen Schorndorf. Drei PKK-Spendeneintreiber hatten ihn zuvor im Asylbewerberheim heimgesucht und zu Spenden für die Partei gedrängt. Als er sich weigerte, malträtierten sie ihn mit Holzknüppeln, jagten den Mann durch die Innenstadt, zerrten ihn in ein Auto und hielten ihm eine Pistole gegen den Bauch.
Zwischen dem 15. Oktober und dem 15. Dezember soll die Terrorpartei 36 Millionen Mark unter den Kurden in Deutschland eingetrieben haben. Der Plan ist von der Europazentrale für die einzelnen Regionen vorgegeben. Auf Versammlungen der Gebietsleiter, so berichteten PKK-Aussteiger der deutschen Polizei, kursieren Listen mit genau festgelegten Geldbeträgen, die jeder Funktionär beizubringen hat.
Kurdische Asylbewerber und Arbeitslose, so die Aussteiger, müssen zwischen 30 und 50 Mark im Monat hinblättern, Arbeitnehmer zahlen zwischen 100 und 300 Mark, kleine Gewerbetreibende und Geschäftsleute bis zu mehreren tausend. Jedes Jahr zu Weihnachten, wenn es doppelte Gehälter gibt, ist ein Monatslohn fällig. “Arbeitslose müssen die Sozialhilfe eines Monats zahlen”, stellte das Frankfurter Landgericht fest.
Von kurdischen Drogenhändlern kassiert die PKK sogenannte Strafgelder. Drogengeschäfte sind nach der PKK-Ideologie _(* Nach Angaben von ) _(Menschenrechtsgruppen stammt der Panzer ) _(aus Bundeswehrbeständen. )
unmoralisch und verboten, ebenso Waffenhandel. Doch wenn schon ein Kurde daran verdient, dann will auch die PKK teilhaben.
120 000 Mark sollte ein Gemüsehändler aus Frankfurt an die PKK zahlen. Nach massiven Drohungen ging er zur Polizei. Doch vor Gericht konnte oder wollte der Gemüsehändler die Erpresser nicht mehr erkennen.
Die wenigsten Kurden rufen gegen die PKK die Justiz an. Die Mauer aus Angst und Schweigen ist für die Ermittler fast unüberwindlich.
Außer sich hatten die Eltern eines 15jährigen Kurdenjungen aus Niedersachsen im Sommer 1993 eine Vermißtenanzeige bei der Polizei aufgegeben. Wenig später tauchte der Junge wieder auf und berichtete, daß er von drei Männern in ein PKK-Schulungsheim entführt worden sei.
Doch als die drei mutmaßlichen Entführer schließlich gefaßt worden waren und Opfer wie Täter vor dem Richter standen, hatte sich plötzlich alles ganz anders zugetragen. “Freiwillig” sei er mitgegangen, sagte da der Jugendliche plötzlich, es sei gewesen wie “eine langandauernde Party”. Das Gericht sprach die Angeklagten frei.
Für die Bonner hat sich die Idee mit dem neuen Arafat seit vorletztem Wochenende endgültig erledigt. Der sei “kein Gesprächspartner für die Bundesregierung”, erklärte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, Mitte vergangener Woche.
Schon in den nächsten Tagen, warnte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in einem vertraulichen Vermerk, sei “mit Brandanschlägen zu rechnen”. Die PKK und Öcalan brauchten “Ausschreitungen, um ihre Schlagkraft zu demonstrieren”. Die blutigen Ereignisse der letzten Wochen seien von den PKK-Funktionären “eher euphorisch gefeiert” worden. Y
[Grafiktext]Struktur der PKK nach Unterlagen des Generalbundesanwalts
Anzahl der Brandanschläge auf türkische Einrichtungen 1995
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