Wallraff Gespräch…
Wallraff: Haben Sie denn mal etwas von der Bergpredigt, von der Feindesliebe gelesen . . .
Abdullah Öcalan: (lacht lauthals) Ich sage nicht, daß er für uns sehr schädlich, sehr gefährlich ist. Wobei ich Respekt vor Günters Freundschaft habe, und wenn er will, falls es einen Mordbefehl gibt, dann werden wir auch ihn begnadigen. Ich bin nicht so rigoros wie die Iraner. Das Problem Selim ist gelöst. Das ist ganz simpel.
Günter Wallraff im Gespräch mit den PKK-Führer Abdullah Öcalan
Die kurdische Terrororganisation ist nicht bereit, die Morddrohung gegen einen Kritiker zurückzunehmen
Im Beisein von etwa hundert bewaffneten PKK-Soldaten begrüßte mich Öcalan überaus freundlich mit “Hallo, Ali” (meinem Namen als türkischer Arbeiter “ganz unten”) und offenbarte mir, daß sein Tarnname in den Anfängen der Organisation ebenfalls Ali gewesen sei. Im Laufe des Gesprächs wechselte er zwischen dem vertrauten “Du” und dem distanzierteren “Er”. Zur Eröffnung erläuterte er seinen Anhängern: “Günter Wallraff ist hierhergekommen, weil er etwas erfahren will über meine Realität und die der PKK.
Ich denke, er erliegt dem Irrtum, ihr wäret klug genug, um meine Theorie umfassend in die Praxis umzusetzen. Der Krieg mit der Türkei wird vielleicht zu Ende gehen, aber mein Krieg mit euch nie! Es gibt ein häufig gebrauchtes Sprichwort: Es ist schwieriger, die Kurden zu vereinen, als ein Atom zusammenzusetzen. Die Kurden sind ganz unten von denen ,da unten’. Wird Günter das sehen können?”
Günter Wallraff: Ich bin als Freund von Selim Cürükkaya hier. Kann Er hier unter Zeugen versichern, daß der Mordbefehl gegen Selim Cürükkaya aufgehoben wird?
Abdullah Öcalan: (lacht lauthals) Ich sage nicht, daß er für uns sehr schädlich, sehr gefährlich ist. Wobei ich Respekt vor Günters Freundschaft habe, und wenn er will, falls es einen Mordbefehl gibt, dann werden wir auch ihn begnadigen. Ich bin nicht so rigoros wie die Iraner. Das Problem Selim ist gelöst. Das ist ganz simpel.
Wallraff: Wird das auch in kurdischen Zeitschriften erscheinen?
Öcalan: Natürlich, natürlich. Es soll auch das Fernsehen kommen. Ich werde es dem ganzen Volk verkünden. Aber leider gelten die Bemühungen einem sehr inhaltlosen Subjekt.
Wallraff: Menschenleben sind immer wichtig, auch wenn’s ein einzelnes ist. Und ein Buch ist eine Welt für sich.
Öcalan: Selim hat mir ein Buch gewidmet. Günter hat das Buch gelesen. Er soll mir jetzt die Eigenschaft von mir nennen, die Er als die gefähr-lichste ansieht. Das werde ich hier analysieren. Dann wird Er vielleicht noch zufriedener sein.
Wallraff: Also, wo soll ich da anfangen? Da ist der Personenkult, seine Selbstherrlichkeit, über Menschenleben zu richten. Menschen, die anderer Meinung waren oder die Kritik geübt haben, wurden sofort als Verräter abgestempelt und hingerichtet, das sind stalinistische Methoden. Schauprozesse . . .
Öcalan: Nein, nein. Gibt es auf dieser Welt Menschen, die mehr Oppositionelle haben als ich? Alle in der PKK sind Oppositionelle. Sie rufen selber, wie sollen wir den täglichen Krieg mit dem Vorsitzenden überstehen? Also, ich habe Respekt vor der deutschen Logik, aber ich habe wohl auch ein Recht, sie zu kritisieren und mich selber zu verteidigen. Selim Cürükkaya ist in Deutschland, lebt bequem . . .
Wallraff: Ihm geht’s nicht gut. Er hat sich geweigert, mit den deutschen Behörden zusammenzuarbeiten, er lebt im Versteck . . .
Öcalan: Er fühlt sich nicht gut, weil er ein großes moralisches Verbrechen begangen hat.
Wallraff: Er ist ein Vertreter der kurdischen Sache, ein Kritiker der türkischen Politik. Er meint nur, es müßte ein demokratisches Führungsprinzip geben und nicht die Diktatur eines einzelnen.
Öcalan: (aufbrausend) Nein, mir das zu sagen ist eine Beleidigung. Das sage ich, Herr Günter, mir Demokratie zu erläutern. Ich bin der Mensch, der dem kurdischen Volk den Mund geöffnet hat, ich bin der Mensch, der sein Herz geöffnet hat. Muß ich das beweisen?
Eigentlich verplempern wir unsere Zeit! Günter sollte sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen. Ein riesiges Massaker auf der einen Seite, ein fürchterlicher Krieg, ein Befreiungskampf, aber er bemüht sich nicht, die Kurden, sondern Selim zu retten. Dieser Feigling ist desertiert.
Wallraff: Er war gefangen. Er mußte fliehen, damit er nicht wie andere zum Verräter erklärt und liquidiert wurde.
Öcalan: Wenn wir ihn hätten töten wollen, hätten wir ihn mit einem Handschlag umgebracht. Töten ist eine der einfachsten Sachen. Wir wollten ihn entwickeln. Wir wollen ihn immer noch entwickeln. Wir wollen ihn ein wenig unter den Deutschen leben lassen und ihn rehabilitieren, das heißt, mit einer gemeinsamen Anstrengung von Kurden und Deutschen kann Selim gerettet werden. Gibt es noch mehr Demokratentum? Was soll ich sonst noch tun? Und ich bedanke mich auch für die Hilfe, um ihn zu retten. Sobald als möglich kann Er (Günter Wallraff, d. Red.) ihn hierherbringen, das ist kein Problem. Soll er ihn doch retten!
Wallraff: Ich werde es ihm ausrichten. Nur, daß es ihm nicht ergeht wie den Schwiegersöhnen Saddam Husseins! Wie können Sie das überhaupt verantworten, hier in Syrien unter dem Schutz der syrischen Regierung und ihrer Geheimdienste in Sicherheit zu sein und ihre Kämpfer – halbe Kinder oft – zu opfern und in den Tod zu schicken?!
Öcalan: Ich sage es ganz offen. Ich habe bis heute keine Pistole in die Hand genommen und abgefeuert. Weder ein Schwert noch eine Pistole. Ich habe niemanden getötet. Mehr noch, ich habe nicht einmal jemand aufs Korn genommen. Ich lehne das ab und gebe mich damit nicht ab.
Wallraff: Ich habe große Schwierigkeiten damit, daß Er Herr über Leben und Tod ist und seinen eigenen Kopf nicht hinhält. Von daher ist da auch ein gewaltiger Unterschied zu Che Guevara . . .
Öcalan: Vom revolutionären Verständnis her ähnelt er uns. Trotzdem bin ich ziemlich anders. In der Diplomatie, der Politik, der militärischen Führung und Philosophie marschieren wir anders.
Wallraff: Man berichtete mir, Sie würden zehn Stunden täglich unterrichten, ständig produzieren und dozieren. Wer unterrichtet Sie? Welche Bücher haben Sie in den letzten Jahren gelesen? Was beeinflußt Sie?
Öcalan: Ich unterrichte mich selbst. Ich lese kaum, aber alles, was ich sage, wird festgehalten und über unser Fernsehen (Med-TV) oder über Schriften verbreitet.
Wallraff: Einige der Schriften habe ich gelesen. Das ist doch sehr allgemein . . .
Öcalan: Das soll Er nicht weiter wichtig nehmen. Das sage ich nur, um meine Leute bei der Stange zu halten . . .
Wallraff: Das Fehlen jeglicher Kritik an Ihm ist doch das Zeichen einer Diktatur. Wer kritisiert Ihn? Wer hat es schon mal gewagt, Ihm ernsthaft zu widersprechen?
Öcalan: Wir kritisieren alles. Wir kritisieren uns untereinander aufs schärfste. Es gibt wirklich keine Bewegung in der Welt, in der sich die Mitglieder mit einer Härte wie in der PKK kritisieren. Wir haben auch die Weltgeschichte untersucht. Es gibt keine Bewegung und keine Partei, die so offen ist, sowohl gegenüber dem Volk als gegenüber den Genossen. Wir führen einen ständigen offenen Krieg miteinander. Aber wer hat Ihn denn beeinflußt?
Wallraff: Gandhi zum Beispiel. Er hat mich mit seinen gewaltfreien Aktionen bei meiner Kriegsdienstverweigerung inspiriert. Leben und Werk, Reden und Tun sind bei ihm eine Einheit.
Öcalan: Ich habe Ihn nach Personen aus der Geschichte und nicht der Gegenwart gefragt . . .
Wallraff: Leider ist Gandhi längst tot, er wurde ermordet . . . Aber mich hat sicher auch Christus in meiner Jugend geprägt, obwohl ich nicht gläubig war und sehr früh schon aus der katholischen Kirche ausgetreten bin.
Öcalan: Mich hat der Erzbischof von Aleppo besucht und mir am Schluß gesagt, daß ich Jesus ähnele. Ich bin als Moslem geboren, aber meine Art und Weise ähnelt dem heiligen Christus . . .
Wallraff: Haben Sie denn mal etwas von der Bergpredigt, von der Feindesliebe gelesen . . .
Öcalan: Ich brauche nichts von ihm zu lesen. Meine Art und Weise ähnelt ihm. Seine Moral, Arbeitsweise und die Art zu leben . . .
Wallraff: Aber Jesus überzeugte durch seine Gewaltlosigkeit, und er verbot übrigens keine Liebesbeziehungen . . .
Öcalan: Das ist auch bei uns nicht anders. Es ist nicht so, wie es aussieht. Das sieht Er falsch. Unser Leben ist nicht so rigoros. Er kennt unser Leben mit den Frauen nicht. Es ähnelt genau dem Leben der Urchristen. Ich vergleiche unsere Lager mit den ersten Klöstern. Wenn Er das nicht versteht, kann Er uns nur schwer verstehen. So spricht man im Volk zum Beispiel davon, daß ich nicht eine neue Politik, sondern eine vierte Religion schaffe. Im Gegensatz zu den Politikern bin ich eigentlich den Propheten näher.
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Ich gebe zum Schluß noch eine Selbstkritik für alle Deutschen ab. Leider wird das entwickelte Deutschland aufgrund der Rückständigkeit unseres Volkes etwas verschmutzt. Das macht mich traurig. Deutschland hätte diese Schlechtigkeit nicht zugefügt werden dürfen. Es gibt so viele kurdische Menschen ohne Arbeit. Sie kamen aus zerstörten Dörfern und sind auf illegalen Wegen nach Deutschland geschickt worden. Das hätte nicht passieren dürfen. Auch das war ein Verbrechen. Sie wurden in die Elendsviertel der Vorstädte gepfercht. Deswegen macht sich erneut Rassismus breit. Berechtigterweise übrigens! Ich finde, auch die Rechten sind im Recht. Ich sage offen, ich denke in diesem Punkt nicht wie ein Sozialdemokrat. Die Rechten haben recht.
Es gibt eine freundliche Verabschiedung, nachdem zwischendurch gemeinsam gegessen wurde. Öcalan lädt mich zu weiteren Gesprächen ein. Auf dem Weg zum Wagen sagt er noch eher beiläufig: “Bringt beim nächsten Mal den Selim mit. Er hat unsere heiligsten Werte angegriffen. Wenn er das zurücknimmt und Selbstkritik übt, kann er wieder mit uns zusammensein. Wenn nicht, kann ich auch nichts dafür, wenn ein Unfall passiert.”
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